
Aktuell bringen wir Webanwendungen, Websites und Shops unserer Kunden auf den Stand der neuen gesetzlichen Anforderungen zum BFSG (Barrierefreiheitsstärkungsgesetz), die ab Juni im B2C verpflichtend sind. – Wie sollte es anders sein: Verstöße werden andernfalls mit saftigen Geldstrafen belegt.
Das Gesetz greift massiv ins Web- und Corporate Design ein – teilweise auf eine Weise, die einfach nur sprachlos macht.
Websites müssen künftig z. B. strenge Kontrastverhältnisse einhalten, bestimmte Schriftgrößen bieten, vollständig per Tastatur bedienbar sein und über strukturierte Inhalte verfügen – um nur einige Anforderungen zu nennen. Der Aufwand, den Unternehmen dafür betreiben müssen, ist nicht nachvollziehbar. Denn: Viele dieser Anforderungen lassen sich längst über Webbrowser abbilden – individuell, flexibel und nutzerzentriert.
Barrierefreiheit – browserseitig längst lösbar
Moderne Browser bieten bereits eine Vielzahl an Features, die Menschen mit Einschränkungen das Surfen erleichtern: Vergrößerung von Texten, Hochkontrast-Modi, Sprachausgabe, Screenreader-Schnittstellen, sogar automatische Bildbeschreibungen mithilfe von KI. Warum also der gesetzliche Zwang, Barrierefreiheit ausschließlich auf Code-Ebene umzusetzen?
Das ist, als würde man Autofahrer verpflichten, nur auf perfekt nivellierten Straßen zu fahren, obwohl ihre Fahrzeuge längst über intelligente Federungssysteme verfügen. Technologische Lösungen gibt es längst – man müsste sie nur intelligent einsetzen.
KI kann (und sollte) unterstützen
KI ist bereits so fortgeschritten automatisch Bilder beschriften, Texte vereinfachen und Websites vorlesen kann. Warum also wird diese Technologie vom Gesetzgeber praktisch ausgeklammert? Ich bin einverstanden damit, dass es Qualitätsstandards und Kontrolle braucht. Aber es wäre deutlich effizienter, Menschen browserseitig Optionen zur Personalisierung zu geben – statt Unternehmen mit hunderttausenden Euro teuren Umprogrammierungen zu belasten.
Ein Gesetz aus der analogen Gedankenwelt
Übrigens: Dass Produktverpackungen, Anzeigen oder Flyer nicht denselben Anforderungen unterliegen wie digitale Angebote, erschließt sich mir ehrlich gesagt nicht. Ein Etikett im Supermarkt darf vollflächig mit Goldschrift auf Blümchenmuster gestaltet sein – aber die Website zum Produkt muss Schwarz-Weiß im 7:1-Kontrast erscheinen? Das BFSG denkt digital, aber fühlt analog. Und es ignoriert die technischen Möglichkeiten, die heute längst im Alltag vieler Nutzer angekommen sind.
Hinweise auf Goldplating beim BFSG
Bei der nationalen Umsetzung der EU-Richtlinie zur Barrierefreiheit durch das Bundesministerium für Arbeit und Soziales (BMAS) hat Deutschland – wie so oft – mehr draus gemacht hat, als nötig gewesen wäre. Statt sich an den europäischen Mindestvorgaben zu orientieren, geht das BFSG an vielen Stellen darüber hinaus: mit zusätzlichen Anforderungen, konkreten Bußgeldandrohungen und einem hohen Maß an Dokumentationspflichten.
- Erweiterte Pflichten für Unternehmen
Die EU-Richtlinie 2019/882 legt einen Rahmen für Barrierefreiheitsanforderungen fest, lässt aber Spielräume bei der nationalen Umsetzung. Deutschland hat in einigen Bereichen (z. B. Anforderungen an Webshops oder elektronische Informationssysteme) offenbar strengere Vorgaben formuliert, als nötig gewesen wären. - Strenge Sanktionen
Die Höhe der Bußgelder bei Verstößen ist im BFSG sehr konkret geregelt – in der EU-Richtlinie wird das eher offen formuliert. Hier hat Deutschland klar nachgeschärft. - Komplexität und Bürokratismus
Während andere Länder pragmatischere Umsetzungen anstreben (z. B. mit längeren Übergangsfristen oder klareren technischen Spielräumen), hat Deutschland einmal mehr einen bürokratisch-technokratischen Ansatz gewählt, der Unternehmen erheblich belastet – auch solche, die gar nicht im Fokus der Richtlinie stehen. - Ungleichgewicht zu analogen Medien
Das BFSG setzt fast ausschließlich bei digitalen Angeboten an – obwohl die Richtlinie auch analoge Zugänglichkeit thematisiert. Die selektive Strenge gegenüber Websites wirkt – mal wieder – typisch deutsch.
Mehr Vertrauen in Technologie, weniger Vorschriften
Anfang der 2000er Jahre war ich Mitgründer der Initiative Mehr Wert für alle, die sich mit einem Internetportal und mehreren Symposien für Barrierefreiheit starkmachte. Ziel war es, Betroffene, Entwickler, Designer und Auftraggeber miteinander zu vernetzen. Ich plädiere also schon seit den frühen Tagen des Internets für echte Barrierefreiheit. Aber ich bin entschieden gegen eine gesetzliche Umsetzung, die digitale Potenziale ignoriert, und lieber auf pauschalen Programmierzwang setzt.
Barrierefreiheit muss nutzerzentriert gedacht werden – nicht auf Codeebene erzwungen. Mit der richtigen Browser-Architektur, intelligenten Voreinstellungen und optionaler KI-Unterstützung ließe sich ein Großteil der Anforderungen besser, flexibler und individueller lösen – ganz ohne absurden Umsetzungsdruck für Mittelständler und Webagenturen. Der Gesetzgeber sollte Vertrauen in die technologische Entwicklung haben – und sich nicht weiter auf veraltete Vorstellungen von “Zugänglichkeit” versteifen. Meine Forderung: BFSG aussetzen und überdenken!
#bfsg #barrierefreiheit #ki