Ohne Moos nix los: Bei twitter laufen reihenweise die Anzeigenkunden weg. Aber nicht nur unter den Werbenden, sondern auch unter den Nutzern macht sich eine Art „Cancel Culture“ breit. Grund des Anstoßes: Elon Musk höchstpersönlich. Die Generalamnestie für viele gesperrte twitter-Nutzer stößt auf breite Ablehnung, vor allem beim links-liberalen Milieu. Dass Musk ausgerechnet den König der Fake News, Donald J. Trump, wenige Tage nach seiner Übernahme wieder freischaltet, wird dem Liebling der Börse und Multimilliardären krummgenommen – mit unabsehbaren Kollateralschäden.
Anzeigenkunden laufen weg
Diese Woche verscherzt er es sich auch noch mit Apple. Nachdem der Smartphone-Hersteller seine Werbung wie viele andere auf twitter gestoppt hat, fragt Musk auf seinem twitter-Account, ob Apple etwas gegen die freie Meinungsäußerung hätte: „Do they hate free speech in America?“ und droht, dass er gegen sie „in den Krieg ziehen“ werde. Denn nach der Auffassung von Musk hat er twitter von Zensur und Selbstzensur befreit. So twitterte er vor dem Vertragsschluss „the bird is freed“, auf Deutsch „Der Vogel wird befreit“.
Mitarbeiter: Überstunden oder Kündigung
Aber auch der Umgang mit dem Personal wird als unsozial angesehen. Neben der Chefetage entlässt er knapp die Hälfte der 7.500 Mitarbeiter. Und: Den verbliebenen Mitarbeitern stellt er ein Ultimatum „Überstunden oder Kündigung“. Weitere Mitarbeiter kündigen. Musk kommt aus den Schlagzeilen nicht raus. Auch das Hickhack um die twitter-Häkchen und Abogebühren hinterlassen eine verunsicherte Nutzerschaft.
„Die App für alles“
Musk will twitter radikal verbessern und eine Art „Super-App“ aus ihm entwickeln. Vorbild könnte das chinesische Pendant WeChat sein, das von Millionen Chinesen zur zentralen App für ihre gesamten Onlineaktivitäten geworden ist. Der ehemalige Messengerdienst hat sich zu dem Mobile-Payment-System Chinas entwickelt. Auch der Personalausweis der Volksrepublik soll dort integriert werden. Versucht man die Äußerungen von Elon Musk zu interpretieren, könnte WeChat die Blaupause für das neue twitter werden.
Länderspezifische Nutzungsgewohnheiten
Ein Umbau in diese Richtung wäre allerdings ein absoluter Kulturschock für die bisherigen User. In Deutschland sind die twitterer vor allem in der Bundeshauptstadt angesiedelt. Dort nutzt die Politik das soziale Netzwerk, um in der Presse „zitiert“ zu werden. Die Kulturkonventionen sind im Gegensatz zu anderen sozialen Netzwerken von Land zu Land sehr unterschiedlich. Während twitter in den USA sehr beliebt ist und über rund 75 Millionen Nutzer verfügt, sind es in Deutschland gerade mal 8 Millionen. Zum Vergleich: Facebook zählt rund 47 Mio. Nutzer. twitter steht in Deutschland auf dem letzten Platz der großen sozialen Netzwerke.
Keine zweite Chance für Musk
twitter spielt also in Deutschland im Vergleich zu den USA eine untergeordnete Rolle. Weltweit gesehen hätte Mark Zuckerberg mit „seinem“ Messengerdienst WhatsApp viel größere Chancen durchzustarten und eine Art Super-App zu kreieren. Doch der setzt mit seiner virtuellen Welt namens Metaversum zur Zeit falsche Prioritäten. Elon Musk hat sich verrechnet und zu hoch gepokert. Wenn Werbekunden und Nutzer ihm den Rücken zudrehen, dann ist es der Anfang vom Ende. Auf der anderen Seite bringt er das richtige Mindset mit, ein nächstes „großes Ding“ zu starten. Meines Erachtens hätte er die Kraft und vor allem das Geld für ein neues großes Netzwerk gehabt. twitter’s Kultur zu verändern, ist wirtschaftlicher Selbstmord. Wenn Musk es sich nicht von Tag 1 der Übernahme mit so vielen Stakeholdern verscherzt hätte, hätte er twitter vielleicht aus seinem Dornröschenschlaf wecken können. Kaum vorstellbar, dass sie ihm eine zweite Chance geben. Nur auf neue Nutzerkreise kann er für seine Transformation bauen. – Ob ihm das gelingt? – Für Überraschungen ist er allemal bekannt.
#twitter #elonmusk #twitterisalive