Snackvideos – In der Kürze liegt die Würze

Eine App verändert derzeit die Art, wie wir in nächster Zeit Videoformate konsumieren „wollen“. Gemeint ist TikTok. Die App hat bereits Netflix, Snapchat und Instagram überholt. Keine App wächst derzeit schneller. Fast eine Stunde verbringt der TikToker hier täglich. Neben WhatsApp ist sie die zweitbeliebteste App der Welt und führt die App-Charts mit den meisten Installationen in Deutschland an. Fast eine halbe Milliarde Menschen nutzen sie weltweit monatlich. Diese Zahlen lassen erahnen, welche Anziehungskraft das neue Social Media-Portal entwickelt hat. Und das nicht, wie man vermuten könnte, seitdem der amerikanische Präsident Donald Trump versucht hat, die App in den USA zu verbieten und damit auch in den Kreisen bekannt gemacht hat, die den Dienst bislang nicht kannten.

Von der Playback- zur Kurzfilmchen-App mit Mehrwert

TikTok startet zunächst unter dem Namen Musical.ly als Lippensynchronisationsapp. Der Nutzer sucht sich einen Song aus und singt – natürlich tanzend – sein Playback ein. Was bei Kids mega-in ist, reißt ältere Nutzer nicht „vom Hocker“. Die Audiosynchronisierung wird schließlich auch auf Szenen aus Kinofilmen, Trash-TVs und Serien erweitert. Aus dem Kontext gerissen, entstehen oft witzige Amateurvideos – hinterlegt mit den Audiospuren aus dem Nicht-Musik-Bereich. Diese Videos „gehen viral“, heißt sie werden nun in anderen sozialen Netzen und Messengerapps wie WhatsApp geteilt. TikTok wird auch bei den Über-15-Jährigen immer bekannter. Mittlerweile ist TikTok aber nicht mehr eine reine Lippensynchronisationsapp. Sie ist zu einem Sammelbecken für Kurzvideos aller Arten geworden: Lifehacks (Lebenstipps). How-tos (Anleitungen), Listicles (Auflistungen), Checklisten, Wissensformate, Politisches, Verschwörungstheorien, Vlogs (Videotagebücher), Interkulturelles, Glossare, Statistiken, hinter den Kulissen, Kurioses und Lustiges aus der Menschen- und Tierwelt. Dafür steht ein riesiges Repertoire an Videofiltern und Schnitteffekten in der App bereit. Nutzer mit besonders beliebten Kurzvideos werden sogar von TikTok je Aufruf belohnt. Es gibt kaum einen US-Promi, der nicht seinen eigenen Kanal unterhält. Arni (alias Arnold Schwarzenegger) zeigt, dass sein Esel regelmäßiger Gast in seiner Küche sein darf und gibt ihm leckere Plätzchen zu futtern. Anthony Hopkins betätigt sich künstlerisch auf seinen Leinwänden oder spielt virtuos auf seinem Klavier herum. John Travolta gibt Einblicke als Kapitän während seiner privaten Boing-Flüge. Aber auch die Tagesschau nimmt sich mal selber auf die Schippe oder informiert in Kurzfilmen über das Weltgeschehen.

Grafik: Netzversteher
Foto: Screenshots aus TikTok

Die neue Art, auf den Punkt zu kommen

Die Länge der TikTok-Videos muss „snackable“ sein (also bei einem Imbissbesuch geschaut werden können) und darf nicht länger als 15 bis 60 Sekunden sein. Eine echte Herausforderung! Es erfordert von den Machern die Fähigkeit, schnell auf den Punkt zu kommen und die Pointe richtig zu setzen. Denn die ersten Millisekunden entscheiden, ob der Nutzer weiterschaut oder zum nächsten TikTok wischt. Schnelles Sprechen und das Wegschneiden von Atempausen sind Standard. Der Zeitraffer wird oft als Technik eingesetzt, um die nicht vorhandene Sendezeit zu kompensieren. Das Bemerkenswerte: In wenigen Sekunden vermitteln die pfiffigen TikTok-Creator (Erstellern) und -Influencer (Einflussnehmer) in ihren zum Teil Hollywood-reifen Kurzfilmchen teils recht erklärungsbedürftige und komplexe Inhalte, die bei Youtube gerne mal mehrere Minuten Erklärungszeit bedürfen. Extreme Kreativität wird den „Creatorn“ abverlangt. Wie gesagt, bereits in den ersten Sekunden gilt es die Nutzer zu fesseln. Eine weitere Herausforderung ist, dass alle Videos im Hochformat gedreht werden. Der Story muss also statt im 16:9-Format im 9:16 hochkant gescriptet und gefilmt werden. Dieser Trend dürfte allerdings weniger die Medienerstellung klassischer Formate wie das Fernsehen beeinflussen.

Trendsetter für die unterschiedlichsten Kurzvideo-Genres

Tanz- und Lipsing-Videos waren gestern. Auch wenn sie noch Bestandteil der guten TikTok-Unterhaltung sind, hat sich TikTok längst zu einem Trendsetter für die unterschiedlichsten Kurzvideo-Genres bzw. „Snackvideos“ entwickelt. TikTok wird kommerzieller, wissensreicher und bunter. Es verändert die Mediengattungen und die Art des Medienkonsums nachhaltig, ob im Web, Fernsehen oder auf der Leinwand. Die Tiefe bleibt bei der Kürze der Zeit oft auf der Strecke. Doch viele Videos verdichten komplexes Wissen gekonnt auf die Kernaussagen. Dieser Stil wird alle Medienformate nachhaltig prägen. In einer schnelllebigen Zeit und einem Überangebot an Medien zählt die schnelle und mundgerechte Wissensvermittlung. Die Reduktion auf wenige Schlagwörter birgt die Gefahr der Vereinfachung von Sachverhalten und der Manipulation. Fehlende Zusammenhänge werden nicht vermittelt. Extreme politische Gruppierungen und Verschwörungstheoretiker überfluten TikTok. Auch TikTok muss sich dem Druck bald neigen, Inhalte als „irreführend“ zu markieren oder zu löschen.

Die Videotypen

  • Landscape Videos – Der Klassiker
  • Stories – Die soziale Telenovela
  • Vertical Video – Das mobile-first Videoformat
  • Shoppable Videos – Die QVC-Internetvideos
  • 360° Videos – Das virtuelle Mittendrin
  • Personalized Videos – Mit dem persönlichen Touch
  • AR Videos – In die virtuelle Welt gebeamt
  • SEO Videos – Auf Seite 1 bei Google
  • Silent Videos – Für die Ton-aus-Nutzer
  • Memes, Animated GIFs etc. – Die Witzvideos

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