29.05.2020

Virtuelle Kriege, digitale Zwillinge und programmierbare Organismen

netzversteherFoto: netzversteher

Der „Tech Trend Report 2020“ des Future Today Instituts (FTI) gilt als der Branchenreport in der Internet- und Techszene. Die Zukunftsforscher, allen voran ihre Chefin Amy Webb, betonen, dass sie keine Vorhersagen treffen, sondern nur die Zusammenhänge analysieren.

Bereits in der 13. Ausgabe werden im „Tech Trend Report“ also die „Zusammenhänge“ beleuchtet, die Geschäftsleben, Verwaltung, Bildung, Medien und Gesellschaft beeinflussen werden. Der Report will in schwierigen Zeiten, Ideen und Denkanstöße für die nächsten Entwicklungen geben, so das Institut. Für mich persönlich ist es natürlich sehr interessant, die Trends mit meinen Thesen und Gedanken abzugleichen.

Der Tech Trend Report 2020

Lassen Sie uns also die neun Techtrends näher betrachten, zu welchen neuen Erkenntnisse die New Yorker Forscher gelangen und welche Überraschungen sie bereithalten.

Trend 1: „Scoring“ – Die vollständige Bewertung des Individuums
Jeder, der heute lebe, werde bewertet – nicht nur in China: „Alle unsere Daten werden gespeichert, verfeinert und zusammengeführt, um uns zu einzusortieren, zu kennzeichnen und zu katalogisieren.“ Das geschehe, um es den Staaten zu erleichtern, Entscheidungen für, im Namen und über uns zu treffen. Wir leben in einem neuen Zeitalter der „deterministischen Algorithmen“. (Anmerkung: Für Wissenschaftler ist ein Algorithmus dann determiniert, wenn er bei jeder Ausführung für gleiche Eingabewerte auch immer dieselben Ausgabewerte liefert.) Nach Auffassung des FTIs verlassen wir uns zunehmend auf Künstliche Intelligenz, um Entscheidungen zu treffen, auch wenn diese Systeme uns bewerten, ohne unsere persönliche Geschichte, unsere besonderen Umstände und die einzigartigen Merkmale unserer Menschlichkeit verstehen zu können. Hunderte von Unternehmen bewerten heute ihre Kunden. Zusammengenommen werten diese Unternehmen heimlich Tausende einzigartiger Datenpunkte aus, einschließlich der Frage, wie oft wir auf unserem Handy Apps öffnen, welche Geräte wir benutzen, wo wir uns aufhalten, welche Art von Essen wir für die Lieferung bestellen und welche Erkenntnisse wir aus Nachrichten gewinnen, die wir versendet haben.

Trend 2: „Digital Twin“ – Jeder Mensch bekommt einen digitalen Zwilling
Nach den Zukunftsforschern vom FTI werden wir bald unseren digitalen Zwilling treffen. Es gebe verschiedene Kategorien von gefälschten Medieninhalten, zu denen bösartige, nicht bösartige und gutartige gehören. Im Fachjargon sprechen wir hier von Deepfakes, einem sogenannten Kofferwort aus den Begriffen „Deep Learning“ und „Fake“. Als Beispiele für diese böswilligen Deepfakes des letzten Jahres nennt das FTI Jon Snows öffentliche Entschuldigung für das Ende von Game of Thrones und Barack Obamas Beleidigung, der Donald Trump als „völligen Idioten“ bezeichnete. Ein Beispiel für die nicht bösartige Kategorie sei gewesen, wie Rasputin eine überzeugende Darstellung von Beyoncés Halo bot. Die Letztere, nicht bösartige Kategorie, werde „synthetische Medien“ genannt.

Trend 3: Quanten- und Edgecomputer – Leistungsstarke Rechenmaschinen
Quanten- und Edgecomputer haben es beim FTI von ihrer „Liste der schwachen Signale“ auf die Liste der Toptrends geschafft. Begründet wird dies damit, dass es im vergangenen Jahr zu einige wichtige neue Forschungsentwicklungen auf diesem Feld gegeben habe: „Wir stehen am Beginn einer neuen Ära der Datenverarbeitung. Einer Ära, die leistungsstarke neue Maschinen mit sich bringen und schließlich mehr Verarbeitung an oder nahe der Quelle unserer Daten ermöglichen wird.“

Trend 4: Der Unternehmensroboter – Cloud-basierte Robotik ersetzt billige Arbeitskräfte
Bald werde jedes Unternehmen Zugang zu Robotern haben, so die nächste Trendthese. Im vergangenen Jahr habe Boston Dynamics mit dem Verkauf seines vierfüßigen Roboters namens Spot für kommerzielle, nicht-militärische Zwecke begonnen. In der Zwischenzeit sei der AWS RoboMaker von Amazon geschaffen, um Unternehmen dabei zu unterstützen, intelligente Roboteranwendungen in der Cloud zu testen und in großem Maßstab einzusetzen. Cloudrobotik und Automatisierung sei eines der Bereiche, in dem physische Roboter Daten austauschten und Berechnungen über Netzwerke aus der Ferne durchführten, anstatt nur auf ihren lokalen Rechnerkapazitäten. Bald würden Unternehmen in der Lage sein, die Vorteile der Cloud-basierten Robotik für eine Vielzahl von Anwendungen zu nutzen, darunter die strategische Lagerauswahl im Hinblick auf saisonale Spitzen im Einzelhandel, die Sicherheit in großen Gebäuden und die Fabrikautomatisierung. Sie könnte auch ein Katalysator für die Verlagerung der Produktion weg von Ländern sein, in denen die Arbeitskosten für Menschen billig sei, so das FTI.

Trend 5: „Agriculture Tech“ – Die Technisierung der Landwirtschaft
Was nur wenige auf dem Plan hätten, wäre, dass die großen Techunternehmen (auch „Big Techs“ genannt) die Landwirtschaft im Visier habe. Einige der größten Technologieunternehmen der Welt – Amazon, Microsoft, Walmart – steigen massiv in die Landwirtschaft ein, so die Trendforscher. Microsoft habe einen Mehrjahresplan zur Modernisierung der Landwirtschaft mit Datenanalyse gestartet und führe bereits ein Programm bei zwei US-Farmen durch. Walmart habe seine eigenen Fleischverpackungsbetriebe und Milchverarbeitungsanlage gebaut, um Kosten zu senken. Währenddessen habe Jeff Bezos von Amazon in vertikale Landwirtschaft investiert. Darunter versteht man weitestgehend die Massenproduktion pflanzlicher und tierischer Erzeugnisse in Ballungsgebieten z. B. auf mehrstöckigen Gebäuden.

Trend 6: „Digital Emission“ – Das Erheben und die Analyse von privaten Daten
Liest sich skurril, ist natürlich so: Unsere Häuser stoßen „digitale“ Emissionen aus. Dem Durchschnittsbürger sei nicht bewusst, wie viele Daten er produziert. Zu den digitalen Emissionen zählen die Forscher alle Daten, die nicht aktiv genutzt und von den Geräten verarbeitet werden. „Zu den Informationsbits gehören Dinge wie die Körpertemperatur beim Fernsehen, das Brummen und Knarren, welches das Zuhause nachts verursacht, und das Kommunikationsaufkommen, das die Geräte erzeugen.“ Digitale Emissionen seien zwar nicht umweltschädlich, aber sie seien eine ungenutzte Ressource, die erhoben und analysiert werden müssse – natürlich mit Transparenz und Berechtigungen.

Trend 7: „Synthetic Biology“ – Programmierte Oganismen statt Medikamenteneinnahme
Nach der Auswertung der Trenddaten gelangt das FTI zu der Annahme, dass synthetische Medikamente, Mikroben und Lebensmittel einige unserer größten Probleme lösen werden, gleichwohl aber viele Leute dagegen Sturm laufen werden oder, wie die Forscher schreiben, „ausflippen“ werden: „Synthetische Biologie bedeutet zunächst, einen Organismus zu schaffen, der in der Natur noch nicht existiert. Eines Tages wird der Organismus helfen, defekte Gene zu reparieren, den Planeten von Giftstoffen zu befreien, Krebszellen zu zerstören und die Massenproduktion von Proteinen für unseren Konsum zu unterstützen.“ Sie könne ein Schlüssel zu einem gesünderen Planeten sein. In Zukunft würden keine Medikamente mehr eingenommen werden. „Stattdessen werden Ihre Zellen einfach umprogrammiert, um alles zu bekämpfen, was Sie plagt. Oder stellen Sie sich vor, in ein dickes, saftiges Tomahawk-Steak zu beißen, das bis zur Perfektion gegrillt ist – eines, das veganerfreundlich ist, weil es aus pflanzlichen Proteinen hergestellt wird.“

Trend 8: „Mil-Tech“ – Kriege mit Programmiercode führen
Das FTI ist sich sicher, dass ein neuer Militär-Tech-Industriekomplex entsteht: „Unsere künftigen Kriege werden mit Programmcode geführt werden, wobei Daten und Algorithmen als mächtige Waffen eingesetzt werden.“ Die gegenwärtige Weltordnung werde von Künstlicher Intelligenz geprägt, und dieselben Länder, die in der KI-Forschung weltweit führend seien – also USA, China, Israel, Frankreich, Russland, Großbritannien und Südkorea – entwickelten auch Waffensysteme, die zumindest eine gewisse autonome Funktionalität aufweisten. Einige der größten KI-Firmen in den USA hätten schon begonnen, mit dem Militär zusammenzuarbeiten, um die Forschung voranzutreiben, Effizienz zu steigern und neue technologische Systeme zu entwickeln, die unter verschiedenen Umständen eingesetzt werden können.

Trend 9: „Made in Space“ – Ein neues Zeitalter für die Raumfahrt
Last but not least erwarten die Futuristen aus New York „ein großes Jahr für die Erforschung von Planeten“ und ein wichtiges Jahr für Raumfahrtinitiativen. Einige der geplanten Missionen beträfen Menschen, andere seien nur für Roboter bestimmt, und eine Handvoll werde irdische Landwirtschaft ins All bringen. „Wir verfolgen Trends beim Start von Mikrosatelliten, Internet aus dem Weltraum, weltraumgestütztes Quanten-Internet, Weltraumschrott und eine neue Initiative „made in space“. Einige Schätzungen sähen die Raumfahrtindustrie auf 330 Milliarden Dollar. Eine Zahl, die es tatsächlich in sich hat.

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